Tina Middendorf zeigt mit ihren Erfahrungen und Einsichten, dass Achtsamkeit kein abstraktes Konzept ist, sondern ein essenzielles Werkzeug, um im Beruf und im Alltag zu bestehen. Ihre Lebensphilosophie ist einfach und doch kraftvoll: Glück ist eine bewusste Entscheidung.
Tina Middendorf war fast 20 Jahre lang Radio- und TV-Moderatorin, bevor sie einen neuen Weg einschlug: Achtsamkeit und Meditation. Heute ist sie Gründerin von „MONKEYMIND Coaching“ und hilft Menschen, Resilienz aufzubauen und Burnout vorzubeugen. Im Interview verrät sie, was Achtsamkeit für sie bedeutet und wie Meditation ihr Leben nachhaltig verändert hat.
TINA, WENN DU DEINE PERFEKTE MEDITATION IN DREI WORTEN BESCHREIBEN MÜSSTEST, WELCHE WÄREN DAS?
“Lass einfach los.“ Ich weiß, das ist nicht einfach, aber genau darum geht es bei der Meditation: Lass das Denken los, lass die Anspannung los, komm mal kurz aus dem Stresstunnel raus und bei dir an. Das ist Meditation.
WENN MEDITATION EIN RADIOSENDER WÄRE, WAS STÜNDE AUF DER PLAYLIST?
Ganz viel elektronische Musik. Ich liebe es, zu Deep House und Techno zu tanzen und lege diese Musik auch in meinen Meditationskursen auf. Der immergleiche Beat bringt den Körper in einen gleichmäßigen Rhythmus, was zu einem Flow führt, der total entspannt und zumindest mich alles vergessen lässt.
DU HAST FAST 20 JAHRE IN DER MEDIENBRANCHE GEARBEITET. WAS HAT DICH DAZU BEWEGT, DICH DER ACHTSAMKEIT ZU WIDMEN UND WAS BEDEUTET „MONKEYMIND“ FÜR DICH?
Das „MONKEY MIND“ ist der Normalzustand für alle, die sich nicht mit ihrer Gedankenwelt auseinandersetzen. Das Gehirn liefert uns bis zu 60.000 Gedanken-Vorschläge am Tag – da fühlt man sich schnell im Schwitzkasten dieses Gedanken- und Gefühlschaos. Doch das muss nicht so sein. Mit Achtsamkeit und Meditation holt man sich die Kontrolle zurück. Man wird vom Gehirn-Besitzer zum Gehirn-Benutzer – und dann kehrt Ruhe ein.
ALS MODERATORIN KENNST DU SICHERLICH DIE HERAUSFORDERUNGEN, UNTER DRUCK ZU FUNKTIONIEREN. WIE HELFEN DIR DIESE ERFAHRUNGEN IN DEINER HEUTIGEN ARBEIT?
Ich nutze viele kleine, aber effektive Tools: Von der richtigen Notfall-Atmung bis hin zu Gedankentechniken, die mich schnell von innerlichem Druck zur „I can do it“-Haltung bringen. Vieles davon erfordert nicht mal Übung, man muss es nur einsetzen – statt auf der üblichen Stress-Autobahn zu bleiben.
WAS INSPIRIERT DICH, ANDERE AUF IHREM WEG ZU UNTERSTÜTZEN?
Viele meiner Klientinnen und Klienten fühlen sich ihrem Stress total ausgeliefert und wissen gar nicht, wo sie ansetzen können. Doch das geht. Oft sogar ganz schnell, indem wir die richtigen Stellschrauben drehen und da ansetzen, wo der Stress entsteht: Im Inneren. Menschen auf diesem Weg vom Stress-Tunnel zur Gelassenheit zu begleiten, macht unglaublich viel Spaß.
STRESS UND PERFEKTIONISMUS SIND WEIT VERBREITET. WAS BEDEUTET STRESS FÜR DICH UND WAS HAT ES MIT DER „HORNBRILLE“ UND DER „GESTREIFTEN CLOWNHOSE“ AUF SICH?
Mein innerer Stressor heißt Egon Dompteur. Ich habe ihn so getauft – den Mann mit der gestreiften Clownhose und der Hornbrille. Er sorgt für mein hohes Stresslevel mit seiner ständigen Kritik: „Das geht aber noch besser!“ oder „Mach keine Probleme! Streng dich an!“. Ein Großteil unseres Stresserlebens entsteht eben in uns drin. Was von außen kommt, ist oft nur der Auslöser für unsere typische Stress-Reaktion. Daher setze ich in all meinen Workshops und im Coaching immer bei den inneren Stressoren an. Jeder hat sie, sie sind nur unterschiedlich ausgeprägt. So finden wir schnell gezielte Ansatzpunkte, um Stress deutlich und schnell zu reduzieren.
WIE SCHAFFST DU ES, EGON DOMPTEUR VON DEINEN ECHTEN GEDANKEN ZU UNTERSCHEIDEN?
Ich habe meinen inneren Kritiker erstmal genau beobachtet: Wann und warum kritisiert er mich? Was sind seine immergleichen Ansagen, die schon in meiner Kindheit entstanden sind? Und die wichtigste Frage: Wie will ich, als erwachsene Tina, mit dieser Situation umgehen? Was halte ich für richtig und falsch? So emanzipiert man sich Stück für Stück von seinem inneren Egon.
WAS IST HEUTE DEINE PERSÖNLICHE LEBENSPHILOSOPHIE IN BEZUG AUF ACHTSAMKEIT UND INNERE RUHE?
Jeder ist für sein persönliches Wohlbefinden und Glück selbst verantwortlich. Diese Aufgabe ernst zu nehmen ist entscheidend, denn nur wir können beeinflussen, wie wir auf unsere Umwelt reagieren, wie wir mit Konflikten, Gedanken und Emotionen umgehen. Glück ist tatsächlich eine bewusste Entscheidung, wie ich mein Leben und die Welt sehen will.
WIE SAH DEIN LEBEN AUS, BEVOR DU MEDITATION IN DEINEN ALLTAG INTEGRIERT HAST? WELCHE HERAUSFORDERUNGEN HAST DU DABEI GEMEISTERT?
Ich war permanent im Stresstunnel und fieberte dem nächsten Lichtblick wie Urlaub oder Wochenende entgegen. Für alles, was mir geholfen hätte, innerlich ruhiger zu werden, hatte ich „einfach keine Zeit!“. Am liebsten wäre mir eine rote oder blaue Pille gewesen, die ich schlucken kann und alles ist wieder gut. Nur, die gibt es leider nicht. Meditation und Achtsamkeit sind ein längerer, aber nachhaltiger Weg. Die Techniken, die man lernt, begleiten einen ein Leben lang und helfen, nie wieder so tief in die Stressfalle zu tappen.
HAST DU EINEN NOTFALLPLAN FÜR BESONDERS HEKTISCHE TAGE?
Deine Termine hältst du doch auch ein, oder? Warum also nicht deine Me-Time-Routine? Diese Momente, in denen du wirklich Kraft und Ruhe tankst. Ich habe selbst lange gebraucht, um meiner Routine einen festen Termin pro Tag zu geben, aber seitdem ist es einfach und so effektiv wie nie. Der Trick? Einfach machen, machen, machen!
WIE SIEHT DEINE IDEALE MEDITATION AUS UND WIE INTEGRIERST DU SIE IN DEINEN ALLTAG?
Das hängt davon ab, was ich gerade brauche: Steht mein Körper unter Anspannung, tanze ich auch mal 10 Minuten wie wild zu lauter Musik oder mache Sport. Fühle ich mich gedanklich überladen, suche ich Ruhe und Fokus in der Meditation. Mein Atem ist dabei mein Power-Tool – es hat eine Weile gedauert, bis wir Best-Buddies wurden, aber jetzt ist er immer an meiner Seite, auch außerhalb der Meditation. Meditieren kann ich überall: in der Supermarktschlange, im Zug oder kurz auf der Toilette. Je weniger abhängig man von Ort oder Equipment ist, desto flexibler und effektiver wird die Praxis.
WELCHE SPÜRBAREN EFFEKTE HAT MEDITATION AUF DEN ALLTAG?
Als ausgebildete MBSR-Trainerin (Mindfulness-Based Stress Reduction) habe ich die vielen positiven Effekte von Meditation selbst erlebt und beobachtet. Das von Jon Kabat-Zinn entwickelte Programm ist wissenschaftlich erforscht und wird in Deutschland sogar von Krankenkassen unterstützt. Meditation hilft dabei, Stress abzubauen, indem sie die körperliche und geistige Reaktion auf Stressfaktoren beruhigt. Schon nach wenigen Wochen verbessert sich die Konzentrationsfähigkeit. Studien zeigen auch, dass Meditation die Aktivität in der Amygdala, dem Angstzentrum des Gehirns, nachhaltig senken kann, was Angstgefühle reduziert. Meditation hebt auch die Stimmung, indem sie die Ausschüttung von stimmungsförderndem Dopamin anregt, positive Emotionen stärkt und depressive Symptome lindert – Effekte, die wissenschaftlich gut belegt sind.
WAS DENKST DU, KÖNNEN GESTRESSTE MANAGER UND FÜHRUNGSKRÄFTE DURCH MEDITATION LERNEN, BESONDERS IM UMGANG MIT DRUCK UND HOHEN ERWARTUNGEN?
Die entscheidende Frage ist: Wie hoch ist der Druck und die Erwartungshaltung von außen tatsächlich? Oft vermischen wir unsere eigenen hohen Ansprüche mit den echten Erwartungen im Joballtag. Diese Unterscheidung zu erkennen, ist der erste Schritt, um die inneren Stressoren besser zu verstehen und sein eigenes Erwartungsmanagement besser zu handlen. In der Meditation übt man, die inneren Stimmen zu hören und sich zu fragen: Was ist mein Gold-Standard? Wann bin ich zufrieden? Denn Funfact: Dein innerer Kritiker und Perfektionist wird nie zufrieden sein.
INWIEFERN UNTERSTÜTZT MEDITATION AUCH DEN ARBEITSALLTAG – VIELLEICHT BEI WICHTIGEN ENTSCHEIDUNGEN ODER DEM UMGANG MIT KRISEN?
Mit Klarheit und innerer Ruhe lässt sich alles besser bewältigen. Meditation stärkt das tiefe Vertrauen in mich selbst: I can handle it! Egal was da kommt. Früher war mir nicht klar, dass diese Ruhe in mir liegt, ich sie nur anzapfen und ihr einen Raum geben muss. Das lernt man in der Meditation, und irgendwann sitzt man in einem Meeting und macht das ganz easy nebenbei, um mit Druck und Herausforderungen gelassen umzugehen.
WAS WÜRDEST DU MANAGERN SAGEN, DIE ACHTSAMKEIT UND ENTSCHLEUNIGUNG ALS SCHWÄCHE SEHEN?
Ist es eine Schwäche, seine eigenen Trigger und Stressoren zu kennen und damit umgehen zu können? Oder ist es eine Stärke? Gerade für Manager mit Personalverantwortung kann es schnell zur Schwäche werden, wenn man seine eigenen Stress-Reize nicht kennt und den entstehenden Druck an Mitarbeitenden auslässt.
WIE BEEINFLUSSEN SCHLAF, ERNÄHRUNG UND ANDERE TÄGLICHE GEWOHNHEITEN DEINE INNERE BALANCE UND LEISTUNGSFÄHIGKEIT?
Eine Lebensmittelunverträglichkeit war lange ein Haupt-Stressor für mich. Ich bin glutenintolerant, wusste es aber lange nicht. Die ständigen Beschwerden führten zu innerer Unruhe und Stress. Seit ich mich glutenfrei ernähre, habe ich das Gefühl, dass ein Buddha in meinem Bauch sitzt – da ist plötzlich Ruhe. Es lohnt sich, körperliche Ursachen für Stress abzuklären.
WAS WAR DEIN BISHER SCHÖNSTER MOMENT AUF DEINEM WEG UND WAS SIND DEINE WICHTIGSTEN ZIELE FÜR DIE ZUKUNFT?
Der Tag an dem mein erster eigener Meditations- und Achtsamkeitskurs stattfand, nachdem ich meinen Job als Moderatorin und damit eine komplette Karriere an den Nagel gehängt hatte. Ich hoffe, dass ich noch vielen Menschen die wertvollen Tools der Meditation und Achtsamkeit näher bringen kann. Denn für mich sind das Life-Tools, die jeder kennen sollte.
Tinas Routine für mehr innere Ruhe
Tina hat über die Jahre eine flexible und wirksame Meditationsroutine entwickelt, die sich leicht in den Alltag integrieren lässt:
Tageszeit: Tina integriert ihre Meditation über den Tag verteilt – beispielsweise in der Schlange im Supermarkt oder während einer Zugfahrt. Diese spontane Praxis ermöglicht es ihr, auch an hektischen Tagen ihre innere Balance zu finden und flexibel zu bleiben.
Praxis:
- Körperliche Anspannung: Wenn Tina spürt, dass ihr Körper unter Druck steht, tanzt sie für etwa 10 Minuten zu lauter elektronischer Musik oder macht Sport. Diese aktive Bewegung hilft ihr, Stress abzubauen und ihren Körper zu entspannen.
- Mentale Überlastung: Wenn sie sich gedanklich überladen fühlt, setzt Tina auf stille Meditation, um Ruhe und Fokus zu finden. Ein zentraler Bestandteil ist dabei die Atemarbeit, die ihr hilft, sich mit ihrem Körper zu verbinden und innere Ruhe zu fördern.
- Überall-Meditation: Tina nutzt auch kleine Alltagssituationen – sei es in der Schlange im Supermarkt oder auf der Toilette –, um sich mit ein paar tiefen Atemzügen zu zentrieren.
Dauer: Die Meditation ist nicht strikt zeitlich festgelegt. In stressigen Phasen meditiert Tina täglich, in ruhigeren Zeiten richtet sie die Häufigkeit nach ihrem aktuellen Bedürfnis aus.
Resultat: Diese Routine führt zu einer spürbaren Reduktion des Stresslevels und mehr innerer Gelassenheit. Sie hilft Tina, den Fokus zu bewahren und ihre Konzentrationsfähigkeit zu verbessern. Insgesamt fördert diese Praxis ihr Wohlbefinden sowohl mental als auch körperlich.
Das Ziel dieser Routine ist es, die innere Ruhe jederzeit zugänglich zu machen – ein praktischer Ansatz, der zeigt, dass man für mehr Gelassenheit keine umfangreiche Ausstattung benötigt, sondern einfach im Alltag präsent sein kann.